Ich erzähle hier die Odyssee einer freiwilligen Amts-Beistandschaft aus den Jahren 2012 – 2015 (und darüber hinaus). Es geht um meinen schwer dementen, mittlerweile leider verstorbenen Vater Freddy. Es ist meine bzw. unsere Geschichte, die Geschichte meiner Schwester Sonja und mir. Sie ist schmerzlich-absurd – fast schon kafkaesk.

In erster Linie schreibt man einen solchen Albtraum zur eigenen Verarbeitung nieder, da muss man sich nichts vormachen. Aber darüber hinaus hilft es vielleicht auch jemand anderem da draussen, der vor der Frage einer freiwilligen Amts-Beistandschaft für einen Angehörigen steht. Denn hätte ich selber vor einigen Jahren das Glück gehabt, einen ähnlichen Artikel zu lesen, dann wären meiner Schwester & mir sehr viel Ärger, Schmerz und teures Lehrgeld erspart geblieben.

Ich schreibe hier so wahrheitsgetreu wie möglich – aber natürlich aus meiner Sicht, mit meinen Eindrücken & Empfindungen. Wäre einmal jemand der Verantwortlichen hingestanden und hätte gesagt: Es tut uns aufrichtig leid, in Ihrem Fall ist von Anfang an sehr viel schief gelaufen. Es gab viele Probleme & Versäumnisse, die Ihnen unnötigen Kummer verursacht haben – zusätzlich zum ganzen schwierigen Alltag mit einem schwer demenzkranken Vater. Es war einfach der Wurm drin, und Sie wissen ja, wenn er einmal drin ist … Dann hätte ich wohl nicht über diesen Fall geschrieben (ich schreibe in meinem Blog sehr viel lieber über inspirierende Themen). Aber das ist nie geschehen. 

Und so verarbeite ich das Ganze auf meine Weise – schreibend …
  

Beim Begriff „Bananen-Republik“ denkt man an ferne Länder wie Ost-Halunkistan oder Lari Fari Fari irgendwo in Afrika. Und weniger an preisgekrönte Schweizer Städtchen wie das lebenswerte & liebenswerte (Eigen-Werbung) Rheinfelden an der Grenze zu Deutschland. Aber Bananen gibt es überall. Und Rheinfelden kann überall sein. 

Unlängst hat die Kindes- und Erwachsenenschutz-Behörde (KESB) dem Schweizer Bundesrat ihren Bericht vorgelegt. Darin klagen viele Behörden über zu wenig Personal bzw. zu viele Fälle. Vor dem Hintergrund unserer persönlichen Geschichte klingt das geradezu grotesk. Denn meine Schwester & ich haben jahrelang vergeblich versucht, dieses angeblich überlastete Amt zu ent-lasten und auf dessen unzureichende Dienste zu verzichten. Leider vergeblich. Wobei ich hier natürlich keinesfalls alle Behörden in einen Topf werfen möchte. Es ist wie immer & überall: Eine Dienstleistung ist nur so gut oder schlecht wie die Menschen, die sie im ganz konkreten Fall erbringen. Egal, welche Behörde oder Firma draussen an der Türe angeschrieben steht. Nur in unserem Fall – da war es leider ein Griff ins Klo …

Man hört ja viel Kritisches in den Medien über die Kindes- und Erwachsenenschutz-Behörde (KESB) und ihre Vorgänger-Ämter. Postwendend wird dann gerne beschwichtigt, die Kritik sei masslos übertrieben und die Behörden würden zumeist gute Arbeit leisten. 

Wirklich? Manchmal ist Kritik auch untertrieben. In unserem Fall etwa sind sowohl das Wort „gut“ als auch das Wort „Arbeit“ ein ziemlicher Schlag ins Gesicht … 

Die von der Gemeinde wärmstens empfohlene ENT-lastung sollte sich sehr rasch als extreme zusätzliche BE-lastung herausstellen …

Aber schön der Reihe nach …

Angefangen hat alles damit, dass mein Vater Freddy aufgrund zunehmender Demenz einen Beistand brauchte.

Früher hiess das einmal Vormund, heute gibt es in der Schweiz verschiedene Arten von Beistandschaft – je nachdem, in welchen Bereichen des täglichen Lebens ein Mensch nicht mehr alleine zurechtkommt. Denn nicht jede/r Betroffene braucht Beistands-Leistungen im gleichen Umfang. Sind Angehörige da, kann eine/r (z.B. Sohn oder Tochter) die Beistandschaft übernehmen – oder zwei Angehörige teilen sich die Beistandschaft durch eine sinnvoll ergänzende Aufgaben-Teilung („Gemeinsame Beistandschaft“). Die Beistandschaft kann wahlweise auch dem Amt übertragen werden. Ohne Angehörige wird sie meist direkt der amtlichen Berufs-Beistandschaft übertragen. Die zuständigen Behörden stellen dann für die entsprechenden Beistands-Leistungen Rechnung. 

So weit, so gut.

Unser Vater litt seit längerem unter einer fortschreitenden Alters-Demenz. Vor 20 Jahren war seine Frau (meine Mutter) gestorben – und dieser Verlust hat leider eine riesige Lücke in seinem Leben hinterlassen. 

Hier ein Foto meiner verstorbenen Eltern:
https://twitter.com/AVSchaffner/status/732507602547003392

Mein Vater war jahrzehntelang liebevoll umsorgt worden – und was Haushalt-Arbeiten betraf, leider ziemlich hilflos. Dazu kam, dass er nach dem Tod meiner Mutter angefangen hatte, sich an Gegenständen „festzuklammern“. Er, der früher stark auf Ordnung & Sauberkeit bedacht gewesen war, driftete schrittweise in eine sogenannte „Messie-Erkrankung“ ab. Bereits nach kurzer Zeit war die einst adrette Wohnung kaum wiederzuerkennen. Und im Laufe der Jahre stellten sich in der zunehmenden Isolation immer stärkere Anzeichen von Demenz ein. Die Einbahn-Strasse führte langsam, aber stetig abwärts. 

Näheres zum Thema Demenz-Prävention finden allenfalls Interessierte hier:
„Demenz & Alzheimer – Vorbeugen mit Hirn“
http://www.besser-fernsehen.ch/blog/entry/demenz-alzheimer-vorbeugen-mit-hirn.html

Im Laufe der Jahre haben meine Schwester & ich unserem Vater unzählige Male angeboten, seine Wohnung mit vereinten Kräften wieder auf Vordermann zu bringen. Wir haben ihm „Aktions-Pläne“ in die Hand gedrückt, wie wir das Ganze ganz konkret zusammen angehen könnten. Leider vergeblich. Mein Vater wollte weder aufräumen noch ausmisten noch renovieren noch irgendetwas an seinem Zustand verändern. Dazu kam, dass er auch zunehmend die Körper-Pflege vernachlässigte. Natürlich hätten wir unseren Vater längst zu angemessenen Massnahmen zwingen können oder sollen. Wir haben oft darüber gesprochen – sind aber letztlich davor zurückgeschreckt. Auch wollten wir unseren Vater nicht den zuständigen Behörden melden. Das wäre zwar kein „Denunzieren“ gewesen, hätte sich für uns Töchter aber so angefühlt. Wir hatten schliesslich trotz allem ein gutes Verhältnis zu unserem Vater. Wir haben es schlicht & einfach viel zu lange nicht übers Herz gebracht, selber die notwendigen Schritte einzuleiten. Zumal unser Vater – schon immer ein Untergewicht – im Alter noch sehr viel zerbrechlicher geworden war (aus heutiger Sicht würden wir natürlich früher eingreifen …).

Wir wussten, dass es eine Frage der Zeit war, bis das Telefon klingeln würde in dieser Angelegenheit. 

Der Anruf der Behörde war eine Erleichterung.

So weit, so gut.

Im Frühling 2012 rief mich Frau S. von der Gemeinde an und meinte, Mitarbeiterinnen der Cafeteria des Spitals Rheinfelden hätten sich über den ungepflegten & verwirrten Zustand meines Vaters beschwert. Ich konnte diesen Eindruck nur bestätigen und schilderte in groben Zügen unsere Geschichte.

Frau S. meinte, es gäbe jetzt genau zwei Möglichkeiten: Entweder wir würden die Wohnung umgehend räumen & renovieren und wieder bewohnbar machen – und anschliessend eine tragfähige Betreuung zu Hause installieren. Oder unser Vater müsste in ein Pflegeheim. 

Ich habe sofort versichert, wir würden so schnell wie möglich räumen und anschliessend vollständig renovieren. Und unseren Vater während dieser Zeit „ferienhalber“ in einem Pflegeheim unterbringen. Wir würden alles daran setzen, dass er so lange wie möglich in seinen geliebten vier Wänden bleiben könne.

So weit, so gut.

Wir handelten umgehend und begannen eigenhändig zu räumen (eine Geschichte für sich!). Für Möbel & grössere Gegenstände zogen wir später noch ein professionelles Räumungs-Institut hinzu. 

Eine kleine Entdeckung in diesem Zusammenhang: 
„60'000 Gedanken & Gegenstände“
http://www.besser-fernsehen.ch/blog/entry/60-000-gedanken-gegenstaende.html

Anschliessend ging es zügig an die Total-Renovation der 40 Jahre alten Wohnung: Teppiche raus, restliche Böden raus, Küche raus … und frisches Parkett rein, schöne neue Küche rein und so weiter und so fort … Es hat wie üblich etwa doppelt so lange gedauert wie geplant – aber danach erstrahlte die Wohnung in neuem Glanz: Was doch eine helle Küche, glänzendes Parkett und frische weisse Wände alles ausmachen! Da wirkt auch eine überschaubare Wohnung plötzlich freundlich & einladend.

Unser wichtigster Ansprech-Partner rund um die Wohnungs-Renovation, Herr M., entpuppte sich im Laufe der Arbeiten zufällig als Lebens-Partner von Frau S. von der Behörde. Herr M., ein Charme-Bolzen mit dem Herzen am rechten Fleck, litt zunehmend unter dem Dauer-Stress in der Bau-Branche. Er suchte nach einem ruhigeren Betätigungs-Feld, das er kurz darauf auch tatsächlich fand: Ein schattiges Plätzchen bei Väterchen Staat. Sein neuer Chef, erzählte er mir später, begrüsste ihn mit folgenden Worten: „Willkommen in den ewigen Ferien.“

Nach der Renovation suchte mein Vater neue Möbel aus, mit unserer Hilfe natürlich – aber nach seinem Geschmack (viel Holz, viel beige & braun!). Er sollte sich schliesslich einigermassen wohlfühlen in der neuen Umgebung. Nach einem halben Jahr kehrte unser Vater Freddy also wieder zurück in seine vollständig renovierte, frisch möblierte Wohnung.

So weit, so gut.

Als nächster Schritt musste eine tragfähige tägliche Betreuung auf die Beine gestellt werden: Für die regelmässige Körper-Pflege, für die Medikamente, zum regelmässigen Essen & Trinken, für Wäsche & Haushalt, für Arzt- & sonstige Besuche, Besorgungen aller Art und diverse weitere Hilfe-Leistungen. Und natürlich auch ein bisschen Unterhaltung & Zeitvertreib. Eine 24-Stunden-Betreuung wollte unser Vater nicht – er schätzte trotz zunehmender Demenz sein verbleibendes bisschen Selbstbestimmung & Bewegungs-Freiheit. Er konnte ja noch sehr gut gehen zu diesem Zeitpunkt und unternahm regelmässige Spaziergänge, oft auch alleine – Betreuerinnen konnte er schon mal demonstrativ davonrennen! Und wir wollten ihm (einem früher sehr selbst-bestimmten Menschen) sein kleines bisschen Freiraum lassen – so lange wie irgendwie möglich. 

Im Oktober 2012 stellten wir – nach längerer Suche – drei private Betreuerinnen ein, die jeweils für eine Stunde zu unserem Vater kamen, ihm sein Essen zubereiteten und ein bisschen mit ihm plauderten. Neben der täglichen Basis-Versorgung durch die ambulante Spitex, die Pro Senectute, den ambulanten Mittags-Tisch sowie unsere eigenen tatkräftigen Einsätze natürlich. Meine Schwester & ich organisierten fortan ein umfangreiches „Betreuungs-Netz“. Und wir haben in dieser Zeit viel gelernt über alternative Betreuungs-Formen für demenzkranke Menschen. 

Näheres dazu finden allenfalls Interessierte hier:
„GmbA – Gesellschaft mit betreutem Ableben“
http://www.besser-fernsehen.ch/blog/entry/gmba-gesellschaft-mit-betreutem-ableben.html

So weit, so gut.

Wir hatten nun also eine ziemlich gut funktionierende Betreuungs-Struktur auf die Beine gestellt – die aber einen ständigen hohen Einsatz von uns abverlangte. Neben der ganzen Organisation und unseren eigenen „fixen“ Einsätzen vor Ort mussten wir ja auch die Stellvertretung für Ausfälle aller Art übernehmen.

Und unser Vater brauchte dringend einen Beistand.

Bis zu diesem Zeitpunkt hatten wir alles alleine erledigt, aber wir stiessen an Grenzen. Aufwandmässig und auch finanziell. Denn wir hatten in der Zwischenzeit einen fast sechsstelligen Betrag vorgeschossen für die ganze Wohnungs-Räumung, die Total-Renovation, die neuen Möbel, die sechs Monate „Ferien“ im Pflegeheim, die ersten Abrechnungen der neu eingestellten privaten Betreuerinnen und anderes mehr. Wir verfügten zwar über Bank-Vollmachten für die Konten unseres Vaters – aber als wir davon Gebrauch machen wollten, hiess es, Herr H. war bei der Vergabe dieser Vollmachten bereits leicht dement, da dürfen wir leider nichts auszahlen. Erst wenn Sie offiziell die Beistandschaft übernommen haben (eine Frau F. von der Aargauischen Kantonalbank in Rheinfelden wiederholte am Telefon gebetsmühlenartig, wie sehr sie unsere Bemühungen bewundere und sülzte uns mit unsäglichen Floskeln voll, bis mir schlecht wurde … aber sorry, wir haben da unsere Vorschriften …).

Stimmt – aber es gibt neben Schema F (dem Heimat-Planeten von Frau F. und vielen anderen) auch einen sogenannten Ermessens-Spielraum und einen sogenannten gesunden Menschenverstand. Naja, gäbe … 

So weit, so schlecht.

Also erkundigten sich meine Schwester & ich bei den zuständigen Behörden in Rheinfelden nach der eingangs erwähnten „Gemeinsamen Beistandschaft“. Wir hatten die anfallenden umfangreichen Arbeiten bis zu diesem Zeitpunkt ohnehin untereinander aufgeteilt – und unsere Zusammenarbeit klappte ganz gut. Ideale Voraussetzungen also für eine Gemeinsame Beistandschaft, sollte man meinen.

Aber Sachbearbeiterin B. sah das anders. An Frau B. wurden wir von erwähnter Frau S. verwiesen: Sie sei eine erfahrene Fachkraft im Bereich Beistandschaft, könne uns kompetent beraten und unsere sicherlich zahlreichen Fragen klären. So kam es also zu einem persönlichen Informations- & Beratungs-Gespräch mit Frau B. – und weitere telefonische Gespräche folgten. Wir wollten uns so gut wie möglich beraten lassen, haben viele Fragen gestellt – und viele Antworten erhalten. 

Es tönte glaubwürdig damals, vertrauenswürdig …

Im Nachhinein haben sich die meisten Auskünfte allerdings als Falsch-Aussagen herausgestellt – mit folgeschweren Konsequenzen.

War es Gleichgültigkeit, Inkompetenz oder Boshaftigkeit? Waren es interne Anreize, die wir nicht kennen – oder noch schlimmer? Wir wissen es nicht. Vielleicht war es auch eine Mischung aus verschiedenen Faktoren.

Hier die Kern-Aussagen unserer Beistandschafts-Beratung (u.a. basierend auf meinen damaligen Gesprächs-Notizen): 

Gemeinsame Beistandschaft: Frau B. meinte, die „Gemeinsame Beistandschaft“ sei in unserem Fall leider nicht möglich. Sie hätte noch Rücksprache mit Kollegen/innen gehalten, da liesse sich leider nichts machen. Begründung: keine. (…) Im Nachhinein durften wir uns dann von verschiedener Seite anhören, dass wir geradezu das „Parade-Beispiel“ für eine Gemeinsame Beistandschaft gewesen wären …

Unterstützung bei Organisation & Pflege: Da könnten wir selbstverständlich Unterstützung erwarten, so Frau B., dafür sei die Amts-Beistandschaft ja da. Wir müssten einfach die Details mit dem künftigen Amts-Beistand klären, d.h. wo wir genau Unterstützung bräuchten und um was wir uns weiterhin selber kümmern wollten. Falls wir uns denn für die Amts-Beistandschaft entscheiden würden, die bei weitem vorteilhafteste Variante für uns. Natürlich könnte auch eine von uns beiden die alleinige Beistandschaft übernehmen. Aber wir wären ja dumm, wenn wir diese Hilfe zu überschaubaren Kosten nicht in Anspruch nähmen. (…) Naja, die abgenommene Arbeit war dann noch um einiges überschaubarer. In Tat & Wahrheit sind wir anschliessend auf ganz genau 100% der Organisations- & Pflege-Arbeiten sitzen geblieben. Und die unerwünschten finanziellen „Nebenwirkungen“ haben sich später als richtig teuer erwiesen …

Zufriedenheit mit der Amts-Beistandschaft: Auf die Frage, wie man denn auf der Gemeinde ganz allgemein mit den Dienstleistungen der Amts-Beistandschaft zufrieden sei, meinte Frau B. sinngemäss: Das sei halt wie überall, es könne immer mal etwas schieflaufen, aber unter dem Strich könne man diesen „Service“ nur empfehlen. (…) Später (leider viel zu spät) haben wir erfahren, dass die Gemeinde Rheinfelden schon von langer Hand den Ausstieg aus der Bezirks-Beistandschaft plante. Zu diesem Zeitpunkt war Rheinfelden noch in der Bezirks-Beistandschaft integriert, die alle Gemeinden des Bezirks betreute. Da verschiedene Mitarbeiter/innen dort jedoch im Clinch miteinander lagen (wenn sie sich nicht bereits in ein „Burnout“ verabschiedet hatten), war ein grosser Rückstau an Arbeit aufgelaufen. Vor diesem Hintergrund entschieden sich die grössten drei Gemeinden des Bezirks zum Ausstieg. So auch Rheinfelden. Die Stadt wollte das Heft wieder selber in die Hand nehmen angesichts zu vieler Probleme & unerledigter Arbeiten und überdies zu wenig Kosten-Transparenz. Aber mit so irrelevanten Details wollte uns Frau B. nicht einmal andeutungsweise belasten …

Transparenz: Ein besonders wichtiger Punkt – wie steht es mit der Transparenz, Frau B.? Haben wir in sinnvollen Abständen (z.B. einmal pro Halbjahr) volle Einsicht & Transparenz, also zumindest aktuelle Konto-Auszüge? Das war eine wichtige Voraussetzung für uns – sonst hätten wir gar nicht erst weiterreden müssen. Wir hatten ja vorher alle Rechnungen selber erledigt und wussten über die finanziellen Angelegenheiten bestens Bescheid. Selbstverständlich, meinte Frau B., da hätte jeder so seine eigenen Vorstellungen. Der eine möchte 1 x jährlich Einsicht, der andere 2 x jährlich, ein dritter gar keine – das müssten wir einfach mit dem künftigen Berufs-Beistand absprechen, falls es zu einer Amts-Beistandschaft käme. (…) Eine faustdicke Lüge. Unser späterer Amts-Beistand Ü. und die Transparenz haben sich leider sehr schnell als zwei sehr entfernte Planeten herausgestellt (Herr Ü. und die Arbeit ebenfalls). Transparenz ist ein frommer Wunsch geblieben …

Emotionale Hängematte: Schauen Sie, meinte Frau B., Sie sind doch beide schon dermassen absorbiert mit all den persönlichen Aufgaben rund um Ihren Vater – gönnen Sie sich doch diese „emotionale Hängematte“ der Amts-Beistandschaft. Sie können so viele Aufgaben abgeben und sich dafür umso mehr um Ihren Vater kümmern. Das wollen Sie doch, nicht wahr? (…) Ja, das wollten wir. Aber die in Aussicht gestellte ENT-lastung hat sich leider sehr schnell als riesige zusätzliche BE-lastung oder besser gesagt als nicht enden wollender Albtraum erwiesen … 

Hilflosen-Entschädigung: Ganz besonders strich Frau B. die Expertise der Amts-Beistandschaft im Bereich Hilflosen-Entschädigung heraus (diese steht jedem „hilflosen“ Schweizer zu, es gibt drei Stufen, je nach Grad der Hilflosigkeit). Die entsprechenden umfangreichen Antrags-Formulare würden selbstverständlich von der Amts-Beistandschaft übernommen. (…) Wenn wir darauf gewartet hätten, dass unser späterer Amts-Beistand die diesbezüglichen Formulare in die Hand nimmt, würden wir wohl heute noch warten. Wir haben die Arbeit zu 100% selber gemacht. Genauso wie der spätere Anschub zur Neu-Einschätzung aufgrund der fortschreitenden Demenz unseres Vaters.

Rückerstattung unserer Auslagen: Wir hatten ja – wie bereits erwähnt – die umfangreichen Räumungs- & Renovations-Arbeiten, die neuen Möbel, die Pflege-Kosten etc. unseres Vaters vorfinanziert und erkundigten uns nach der Rückerstattung (von den blockierten Konten unseres Vaters). Dies sei überhaupt kein Problem, meinte Frau B., wir hätten ja eine schöne Übersicht erstellt und sämtliche Original-Rechnungen von Dritten sauber abgeheftet. Eine blosse Formalität – der Amts-Beistand würde das umgehend erledigen. (…) Knapper Kommentar des späteren Amts-Beistands Ü.: „Gehen Sie damit vor Bezirksgericht.“

Steuern: Diese werden von kompetenten Fachleuten erledigt, so Frau B. (…) In Tat & Wahrheit haben sich die Arbeiten um Jahre verzögert. Die Unterlagen wurden von der Amts-Beistandschaft teilweise unvollständig, teilweise gar nicht eingereicht, wie wir bei einem Gespräch auf dem Steuer-Amt nach dem Tod unseres Vaters erfahren haben. Ende April 2016 flatterte uns eine fast fünfstellige Nachsteuer-Rechnung für 2013 (!) ins Haus. Gleichzeitig wurde eine weitere fette Nachsteuer-Rechnung für 2014 in Aussicht gestellt. Das Ende der Fahnenstange ist also noch nicht erreicht … 

Dicke Wegleitung: Nach dem persönlichen Beratungs-Gespräch auf der Gemeinde hat uns Frau B. ein dickes „Brickett“ in die Hand gedrückt – ein Pflichten-Heft für Beistände. (…) Hätte unser späterer Amts-Beistand nur 10% davon erledigt, dann wäre das schon sehr viel gewesen …

Vielen Dank für die Märchen-Stunde, Frau B., und die märchenhaft grusligen Konsequenzen. Natürlich war uns klar, dass das keine bequeme Hängematte mit Meer-Blick sein würde. Aber vor dem Hintergrund der damaligen Dauer-Belastung hätten wir uns auch in eine abgewetzte Hängematte gelegt, die ein wenig durchhängt. Die aber zumindest noch einigermassen trägt – und nicht gleich reisst und uns im freien Fall in die Tiefe hinunterstürzen lässt …

So weit, so schlecht.

Vor dem Hintergrund der abgelehnten „Gemeinsamen Beistandschaft“ haben wir uns also – auf wärmste Empfehlung von Frau B. – für die Berufs-Beistandschaft entschieden.

Die Alternative dazu wäre gewesen, dass eine von uns beiden die alleinige Beistandschaft übernimmt – und wir hinter den Kulissen in gewohnter Arbeits-Teilung weitermachen. Grundsätzlich hätte keine von uns ein Problem damit gehabt, wenn die andere offiziell die Beistandschaft übernommen hätte. Aber die nachdrücklich empfohlene Hilfe & Entlastung und insbesondere die „Hängematte“ tönten damals schon ziemlich verlockend. Und so haben wir der Amts-Beistandschaft einen Vertrauens-Vorschuss gegeben.

Ein grosser Fehler, wie sich bald zeigen sollte.

Unserem Vater haben wir die Situation natürlich geschildert, obschon er sich nicht mehr richtig dazu äussern konnte. Aber als wir ihn gefragt haben, wer die Beistandschaft übernehmen soll, hat er ganz deutlich auf uns gezeigt.

Unser dementer Vater war ganz offensichtlich schlauer als wir …

Mein Vater kannte die Gemeinde Rheinfelden sehr gut aus seiner jahrzehntelangen Arbeit als Untersuchungs-Richter. Er war ein harter Arbeiter alter Schule, der die Ärmel hochgekrempelt und die Arbeits-Berge angepackt hat (und er hat zweifellos einen hohen persönlichen Preis dafür bezahlt). Er war grundsätzlich zur Stelle, wenn irgendwo Hilfe benötigt wurde. 

Er hat denn auch nie Leistungen von irgendwelchen Sozial-Ämtern, Ergänzungs-Leistungen oder was auch immer erhalten. Es ging bei seiner Beistandschaft nicht um finanzielle Hilfe irgendwelcher Art. Bezahlen musste er immer alles selber – es ging „nur“ um den notwendigen Beistand aufgrund seiner Demenz.

Das offizielle Schreiben der Gemeinde Rheinfelden zur Ernennung von Herrn Ü. zeugte von wenig Stil & Sensibilität. Formulierungen wie „Die Töchter informierten, dass Herr H. ein Messie sei …“ sind nicht identisch mit den effektiven Angaben, sprich dass unser Vater an einer (reaktiven) Messie-Erkrankung leide. Ein kleiner, aber feiner Unterschied in Sachen Würde …

So weit, so ironisch.

Die Übernahme der Amts-Beistandschaft unseres Vaters erfolgte kurz vor einer diesbezüglichen Gesetzes-Änderung in der Schweiz. 2013 wurde das 100-jährige Vormundschafts-Recht vom neuen Kindes- & Erwachsenenschutz-Recht abgelöst. Diese Neuerung betraf nicht nur die Arbeit der Berufs-Beistände, sondern nahm generell Einfluss auf das Schweizer Sozialwesen. Trotz jahrelanger Vorbereitungen wurde die Einführung in weiten Teilen um ein Jahr nach hinten verschoben.

Diverse damit verbundene Probleme waren bekanntlich häufig ein Thema in den Medien. Aber gesetzliche Änderungen sind letztlich sehr viel weniger einschneidend als die ganz konkrete Umsetzung durch die damit betrauten Personen.

In Rheinfelden nahm man diese Gesetzes-Änderung zum willkommenen Anlass, gleich auch noch die bereits angesprochenen hausgemachten Probleme anzugehen. Die drei grössten Gemeinden im Bezirk siedelten die Beistandschaft wieder unter dem eigenen Gemeinde-Dach an. Damit erhielten sie auch gleich noch die Kosten-Kontrolle über die entsprechenden Aktivitäten zurück. 

Und wir sassen sozusagen zwischen Stuhl und Bank …

So weit, so schlecht.

Zur Abwechslung mal etwas Positives, und – Sie ahnen es – es hat nichts mit der Amts-Beistandschaft zu tun! 

In all den Jahren, die wir unseren zunehmend dementen Vater zu Hause betreut haben, ist uns sein langjähriger Hausarzt, Dr. B., stets hilfreich zur Seite gestanden. Er hat uns in allen – auch unkonventionellen – Bemühungen unterstützt. Denn er weiss aus jahrzehntelanger Erfahrung mit älteren Menschen bestens über deren Wünsche & Bedürfnisse Bescheid. Und stemmt sich nicht gegen ein bisschen Freiraum & Lebens-Qualität – auch unter erschwerten Umständen. Dr. B. hat unseren Vater oft an seinen Behandlungs-Räumen „vorbeirennen“ sehen draussen auf dem Trottoir und ist ihm grundsätzlich mit viel Verständnis & Würde begegnet. Dafür sind wir sehr dankbar.

Mein Vater Freddy hat Dr. B. geliebt: Sein Name war das allerletzte „Zauber-Wort“, das noch irgendwie bei ihm ankam. Wenn ich diesen Namen erwähnte, huschte ein leises Lächeln über das Gesicht meines Vaters. Und wenn wir zusammen die Praxis betraten, lachte er wie ein kleiner Lausbub … Es war fast ein bisschen wie eine kleine Zeit-Reise zurück in längst vergangene Zeiten & Welten …

So weit, so gut.

Zu lachen gab es mit unserem Ende Oktober 2012 ernannten neuen Amts-Beistand leider weniger. 

Unser erstes & einziges Treffen mit Herrn Ü. – in einer Cafeteria – verlief ernüchternd. Herr Ü. interessierte sich ausschliesslich für die Konto-Auszüge und eine rasche Umleitung der Post. 

Sein Hobby sei das Tauchen, meinte er. Später mussten wir feststellen, dass er damit wohl auch das Abtauchen vor jeglicher Arbeit gemeint hatte. Das zeigte sich bereits deutlich bei dieser ersten Begegnung, zu der wir einen dicken Ordner mit allerlei Unterlagen zu den relevanten Lebens-Bereichen unseres Vaters mitgebracht hatten. Was man halt als Beistand so alles braucht. Oder besser gesagt brauchen würde. Herr Ü. schaute nur widerwillig rein – denn hier lag Arbeit. Und Arbeit wollte er ganz offensichtlich so wenig wie möglich übernehmen. Herr Ü. übernahm lieber Verantwortung. Denn er wusste etwas, das wir erst viel später erfahren haben: Amts-Beistände erhalten praktisch für alles einen dicken, fetten „Persil-Schein“. Und ihre sogenannte „Verantwortung“ ist weitgehend Makulatur.

Die umfangreiche Organisation der Pflege Ihres Vaters? Aber meine Damen – das klappt doch bestens bei Ihnen, das bleibt vollumfänglich bei Ihnen. Genauso wie alles übrige, das direkt mit Ihrem Vater zu tun hat, Sie sind ja ein eingespieltes Team …  

Die korrekte Anmeldung der kurz vorher privat eingestellten Betreuerinnen bei den Sozial-Versicherungen? Schau mer mal … Sehr viel später haben wir erfahren, dass das nie passiert ist zu Lebzeiten unseres Vaters …

Die mit viel Papier-Kram verbundene Anmeldung bei der Hilflosen-Entschädigung? Oder die korrekten Steuer-Abrechnungen? Bloss nicht, das wäre ja mit Aufwand verbunden … 

Und und und und und …

Andere Angelegenheiten, die praktisch jede Hausfrau in wenigen Minuten erledigt hätte, quittierte Herr Ü. gerne mit seinem Standard-Satz: „Gehen Sie damit vor Bezirksgericht …“

Lieber erklärte er uns, dass es immer mehr Menschen gäbe, welche die Amts-Beistandschaft vor ihren eigenen Angehörigen schützen müsse. Also zum Beispiel vor Leuten wie uns. Und er vergass natürlich nicht, entsprechende Gerichts-Urteile zu erwähnen.

Wer uns vor ihm schützen könnte, erwähnte er nicht.

Wir haben den Ball flach gehalten an diesem Treffen, wir haben uns aufrichtig bemüht zu kooperieren. Wir dachten, es kann eigentlich nur noch besser werden. Unser Eindruck konnte täuschen, jeder hat mal einen schlechten Tag.
 
Aber wir täuschten uns leider nicht. 

So weit, so übel.

Wir haben relativ schnell feststellen müssen, dass Herr Ü. nur gerade die dringlichsten Rechnungen an die Sachbearbeiter/innen zur Überweisung weiterleitete. Der Rest blieb mehr oder weniger liegen. 

Korrekte Abwicklung & Rückerstattung von Gesundheits-Kosten etc.? Keine Ahnung. Kommunikation? Weitgehend Fehlanzeige, einige nichtssagende Mails. Telefonische Erreichbarkeit? Grundsätzlich null. Transparenz? Komplette Fehlanzeige.

Dafür trug Herr Ü. Verantwortung.Jene Verantwortung, die wir noch so gerne selbst behalten hätten – und darüber hinaus auch sofort (risiko-frei) für alle anderen Klienten übernommen hätten.

Wir waren als gestandene Frauen sozusagen mit einem Schlag zurückversetzt worden in unsere Kindergarten-Zeit – vorsichtig formuliert. Man muss sich vor Augen halten: Schon der normale „Alltag“ mit unserem demenzkranken Vater war sehr schwierig & zeitraubend. Und vor diesem Hintergrund musste ich allen Ernstes mehrfach hin- & her-mailen wegen Bagatellen wie etwa einer gelegentlichen Massage für meinen Vater. Oder Grab-Schmuck für verstorbene Verwandte. Oder zusätzliche Pflege für seine pilz-geschundenen Füsse etc. Und das oftmals vergeblich, obschon ich alles selber organisierte & erledigte. Es war zum Mäuse melken …

Irgendwann war klar, dass Herr Ü. unter der Woche gar nicht mehr zur Arbeit erschien. Stattdessen schlich er sich jeweils am Samstag ins Büro, wenn sonst niemand da war – und verschickte manuell (!) E-Mail-Replys: „Herzlichen Dank für Ihre Mail. Ich bin krankheitshalber abwesend. Ihre Nachricht wird nicht weitergeleitet. Für Fragen wenden Sie sich bitte an das Sekretariat.“

Herzlichen Dank? Herzlich? Herz? Ja wo denn? Schmerz hätte besser gepasst. Herr Ü. hatte sich in der Zwischenzeit in ein längeres „Burnout“ verabschiedet. Für was er vorher „gebrannt“ hat, wissen wir nicht. Für die Arbeit wohl eher weniger …

So weit, so übel.

Vor diesem Hintergrund hatten meine Schwester & ich im Frühjahr 2013 ein Treffen mit dem neu zur Bezirks-Beistandschaft gestossenen „Trouble Shooter“ (laut eigener Aussage), Herr G. Und „Troubles“ gab es dort tatsächlich jede Menge zu „shooten“. Denn Herr Ü. war offenbar nicht das einzige Problem vor Ort – anscheinend gab es seit längerem Schwierigkeiten, und es wurde immer schlimmer … Die Arbeit blieb immer häufiger liegen, die Mitarbeiter/innen konnten & wollten nicht mehr zusammen arbeiten – und flüchteten sich lieber in Abwesenheiten & „Burnouts“. Herrn G. hatte man engagiert, um den „Laden“ wieder einigermassen auf Kurs zu bringen. Darüber hinaus waren ja bekanntlich die drei grössten Gemeinden im Bezirk auf dem Absprung … 

„Sie sind doch kein Fall für die Amts-Beistandschaft“, meinte Herr G., „Sie sind das Parade-Beispiel für die Gemeinsame Beistandschaft.“

Ach wirklich

So weit, so schlecht.

Wenn es vorher nicht geklappt hat mit der Gemeinsamen Beistandschaft, dann jetzt, meinte Herr G. Meine Unterstützung haben Sie – nur kann ich das nicht selber veranlassen. Wenn Sie erst einmal „drin“ sind in der Amts-Beistandschaft, kommen Sie nur via Bezirksgericht wieder raus. Reichen Sie einfach per Einschreiben einen Antrag beim Familien-Gericht, also Bezirksgericht Rheinfelden ein. Dann werden Sie Ende Jahr nicht „um-gelagert“ auf die neue Amts-Beistandschaft der Stadt Rheinfelden (wie automatisch für Rheinfelder Klienten vorgesehen), sondern „aus-gelagert“.

Gesagt, getan – schliesslich wollten wir keine „Umlagerung“, sondern endlich raus aus dieser schlechten Nummer!

Im Spätsommer habe ich dann sicherheitshalber persönlich auf dem Bezirksgericht vorbeigeschaut, um mich nach dem Stand der Dinge zu erkundigen. Unser Anliegen sei auf der sogenannten „schnellen Schiene“, meinte die Sachbearbeiterin am Schalter, das Einschreiben liege auf dem Tisch von Herrn Gerichts-Präsident L. 

Die geplante „Umlagerung“ der Amts-Beistandschaft rückte immer näher und wir hörten – nichts.

Im November schliesslich fragte ich nochmals persönlich nach – und hörte zu meinem Erstaunen, dass wir gar keinen Antrag am Laufen hätten. Wie bitte? Die Sachbearbeiterin schaute nochmals genauer in die Akte meines Vaters und fand schliesslich einen Vermerk vom Frühsommer: Eingang Einschreiben. Aha, also doch. Aber dieses Einschreiben sei jetzt leider spurlos verschwunden. Doch sie könne mich beruhigen: Wir seien nicht die einzigen Betroffenen. Anscheinend sei eine ganze Reihe von Einschreiben spurlos verschwunden. Man könne sich das nicht richtig erklären – es sei einfach vieles nicht mehr auffindbar zurzeit. Vielleicht hätte es etwas mit den kürzlich erfolgten Computer-Umstellungen zu tun …

Beruhigend, in der Tat …

So weit, so schlecht.

Ich wandte ein, die Zeit dränge mittlerweile wegen der geplanten „Umlagerung“. Und was wir jetzt tun sollen … Sie meinte, wir müssten unverzüglich nochmals Antrag stellen – von den Fristen her würde es gerade noch reichen. Ok, machen wir. Wir haben also nochmals Antrag auf Gemeinsame Beistandschaft gestellt und gehofft, es würde diesmal jemand rechtzeitig das Einschreiben in die Hand nehmen.

Aber das ist nicht passiert. Es hat niemand rechtzeitig den Antrag in die Hand genommen.

Ich kann vorwegnehmen: Es hat überhaupt nie jemand unseren Antrag bearbeitet beim Familien-Gericht. Weder 2013 noch in den folgenden Jahren. 

Die Akte hat immer dickere Staub-Schichten angesetzt – bis sich der Fall schliesslich 2015 von selbst erledigt hat durch den Tod unseres Vaters. Erfahrungsgemäss kann man Arbeit durch Aussitzen längerfristig um rund die Hälfte reduzieren. Viele Arbeiten erledigen sich einfach irgendwann von alleine …

So weit, so schlecht.

Wir sind also „umgelagert“ worden in die neu geschaffene Berufs-Beistandschaft der Stadt Rheinfelden. Erst einmal kamen wir von einem „Vakuum“ (Herr Ü. war schon seit vielen Monaten weg) ins nächste „Vakuum“, weil am neuen Ort noch niemand für unseren Vater zuständig war. Nicht dass das arbeitsmässig einen Unterschied gemacht hätte für uns – denn seit dem ersten & einzigen Treffen mit Herrn Ü. war ja klar, dass wir nicht Arbeit abgegeben hatten, sondern Entscheidungs-Befugnis & Transparenz. Und daher brauchten wir einen Ansprech-Partner – noch. Wir wollten natürlich weiterhin raus aus dieser Sackgasse. Alleine waren wir zehnmal besser dran. 

Nach ein paar Wochen wurde unser Vater der neuen Berufs-Beiständin Frau H. zugeteilt. Sie machte am Telefon einen netten Eindruck, suchte aber bereits während der Probezeit wieder das Weite. 

In diesem neuerlichen „Vakuum“ nahmen wir bezüglich der dringlichsten Pendenzen Kontakt mit der Leiterin des Sozial-Dienstes Rheinfelden auf, dem die Berufs-Beistandschaft angegliedert worden war. Frau C. bedauerte, dass wir noch immer nicht „draussen“ waren und stattdessen in der neuen Amts-Beistandschaft Rheinfelden gelandet seien. Sie würde unseren Antrag auf Gemeinsame Beistandschaft selbstverständlich unterstützen. Und sie würde uns auch eine Ausnahme-Genehmigung bezüglich Transparenz etc. erteilen, da wir so stark in den Alltag unseres Vaters involviert seien und ohnehin die einzigen wären, die über alles Bescheid wüssten … und uns im Moment nur unnötig die Hände gebunden seien … 

Allerdings wären wir spätestens Ende 1. Quartal 2014 „draussen“, meinte Frau C., bis dann hätte das Bezirksgericht Rheinfelden unseren Antrag definitiv durchgewunken. Wenn dem so sei, meinten wir, wollen wir jetzt für ein, zwei Monate mehr oder weniger auch kein Büro mehr aufmachen. In spätestens zwei Monaten würde sich das Ganze ja endlich erledigt haben. 

Das 1. Quartal 2014 verstrich – aber anstatt eines endgültigen Abgangs erfolgte die Zuweisung an eine neu eingestellte Amts-Beiständin. Frau D. kam aus Deutschland und musste sich erst einmal einarbeiten. Was aber keine grosse Rolle spielte, da die Alltags-Arbeit ohnehin gänzlich bei uns lag. Wie schon immer … 

Wir. Wollten. Bloss. Nur. Endlich. Raus.

So weit, so schlecht.

Mit Frau D. kam zumindest eine Kommunikation im Hinblick auf das Nötigste zustande. Aber wir drängten natürlich weiterhin auf den längst beantragten Abgang. Frau C. hatte ja bereits nachgefragt – vergeblich (und sich irgendwann in den Schwangerschafts-Urlaub verabschiedet …). Und auch Frau D. fragte beim Bezirksgericht nach – genauso vergeblich.

Es hätten wohl auch Frau E., F., G. und das restliche Abc nachfragen können – es wäre genauso vergeblich gewesen. 

So weit, so schlecht.

Für unseren Vater – und für uns – war 2014 ein turbulentes Jahr, denn wir mussten schweren Herzens die jahrelange Pflege-Situation zu Hause in der Wohnung aufgeben. Der Zustand unseres Vaters hatte sich kontinuierlich verschlechtert, die Inkontinenz war stärker geworden, und unser Vater brauchte auch tagsüber immer mehr Hilfe auf der Toilette. Unser sorgfältig aufgebautes „Betreuungs-Netz“ – mit 5 – 6 Personen pro Tag – war irgendwann leider nicht mehr tragfähig. Unser Vater brauchte jetzt eine Rundum-Betreuung. Inzwischen fand er auch nicht mehr alleine nach Hause und streckte immer häufiger vorübergehenden Passanten seinen Wohnungs-Schlüssel hin. Es gab einige notfallmässige Einsätze – und wir mussten eine andere Lösung finden.

Schweren Herzens entschieden sich meine Schwester & ich für den endgültigen Schritt ins Pflegeheim. Wir hatten im Vorfeld schon diverse Heime & Einrichtungen besichtigt und unseren Vater in drei Häusern auf die Warte-Liste setzen lassen … präventiv, bis es nicht mehr ging zu Hause. Die „Lindenstrasse“ im Zentrum von Rheinfelden war unser Favorit. Und dank ein bisschen Unterstützung von Herrn Dr. B. konnte unser Vater dort Mitte Mai ein nettes Einzel-Zimmer beziehen.

Von seinem Zimmer aus konnte er zur Migros runterschauen, wo er jahrelang – vor seiner Demenz – essen gegangen war. Er befand sich also auf einigermassen vertrautem Terrain – obschon ihm natürlich auch das vertraute Umfeld immer mehr abhanden kam. Ich weiss nicht, ob er jemals bewusst zum Fenster hinausgeschaut hat in seinem neuen Zuhause. Er hatte eine wirklich schöne Aussicht, zu seinem langjährigen Hausarzt rüber, in die historische Altstadt hinunter und über den Rhein in Richtung Schwarzwald … Aber ich fürchte, das konnte er schon alles nicht mehr richtig wahrnehmen …

Erst einmal wollte er nur raus, zurück nach Hause, in seine Wohnung … aber es ging leider nicht mehr. Nach einigen Wochen hatte sich unser Vater dann schliesslich ein bisschen eingelebt. Aber seine Kräfte liessen merklich nach: Sein lebenslanges Asthma verschlimmerte sich weiter, ebenso die demenz-bedingten Schluck-Beschwerden. Durch das häufige Verschlucken resultieren bei zunehmender Demenz leider oft Bronchial- & Lungen-Entzündungen. Und die dagegen verabreichten Antibiotika schwächen die Patienten zusätzlich. Und machen sie immer resistenter. Ein Teufels-Kreis …

Aber damit nicht genug: Ende 2014 fiel unser Vater auch noch aus dem Bett und musste sich ein künstliches Hüftgelenk einsetzen lassen. Man hoffte, dadurch die Mobilität erhalten zu können. Anschliessend ist unser Vater fast verblutet – und nur eine Reihe Blut-Konserven hielt ihn am Leben. Den Blut-Verlust vermuteten die Ärzte im Magen-Darm-Trakt – aber mein Vater war nicht mehr in der Lage, die benötigte Menge Abführmittel für die Magen- & Darm-Spiegelungen zu trinken. So konnte man letztlich nur spekulieren über die Gründe …

So richtig erholt hat er sich leider nicht mehr von diesem schweren Eingriff nach seiner Entlassung aus dem Spital zurück ins Pflegeheim.

So weit, so schlecht.

Das lag aber nicht nur an der schweren Hüft-Operation und der Tatsache, dass er fortan fast nur noch im Rollstuhl sass. Mein Vater hatte immer grössere Schwierigkeiten zu atmen. Dazu kamen weitere Lungen-Entzündungen infolge des häufigen Aspirierens. Wir hofften sehr, dass der Frühling seinem ausgemergelten Körper ein bisschen neue Lebens-Energie einhauchen würde … 

Manchmal, wenn wir unseren Vater durch den Garten im Pflegeheim rollten und ihn auf die Strasse hinausblicken liessen, auf die vorbeifahrenden Autos, auf den Weg zum Bahnhof hinauf, den er so oft gegangen war … Da war es wieder ein bisschen wie früher, als die Demenz noch weit weg war, als er noch selber Auto & Motorrad fuhr und sich gewiss einen ganz anderen Ruhestand ausgemalt hat … 

Ich weiss noch gut, wie er immer davon sprach, einmal nach Südafrika zu reisen … Er war ja als junger Mensch viel gereist und hatte einiges gesehen und auch länger im Ausland gelebt & gearbeitet … in den USA und in Skandinavien … Aber Südafrika, das hatte es ihm irgendwie angetan, da wollte er immer mal hin …

Gekommen ist es dazu leider nie. Als ich meinen Vater zum letzten Mal sah, hatte er ein kleines Zwischen-Hoch. Er war immer noch sehr schwach, hatte aber mehr Appetit und ass wieder etwas besser – und eben: Der Frühling stand vor der Türe, die Sonne drückte durch, die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt …

Anderthalb Tage später war mein Vater tot. Gestorben kurz vor Mittag am 27. März 2015. Er starb alleine – vermutlich ist er erstickt. Letztlich war es wohl eine Erlösung für ihn nach allem, was er in den letzten Jahren & Monaten durchgemacht hatte.

Ich habe mich manchmal gefragt, ob es auch ein bisschen wir waren, die ihn daran hinderten, schon früher zu „gehen“. Meine Schwester & ich, die alles daran gesetzt haben, dass er so lange wie möglich unter uns bleibt. Mit allen möglichen Massnahmen bis hin zu einer (zu) schweren Operation in stark reduziertem Allgemein-Zustand … 

Bis fast zum Schluss habe ich ihn regelmässig zum Sonntags-Brunch abgeholt, damit er auch mal andere Menschen & Eindrücke um sich hat. Das hat mein Vater sehr genossen, solange er noch einigermassen mobil war. Aber als er dann im Rollstuhl sass, wurde es immer mehr zur Tortur für ihn – nicht primär wegen des Rollstuhls, sondern aufgrund seiner schwindenden Kräfte und der starken Schluck-Probleme. 

Doch meine Schwester sagte immer: Er hat noch Lebens-Wille. Auch als er im Spital war und die Ärzte die Standard-Frage nach allfälligen lebenserhaltenden Massnahmen (im Fall der Fälle) stellten. Wir wollten nicht darauf verzichten – auch wenn solche Massnahmen eine zusätzliche Qual für die Patienten darstellen können. Und auch wenn sehr viele Angehörige älterer Menschen (ohne Patienten-Verfügung) darauf verzichten – erstaunlich viele übrigens. Aber wir hatten das Gefühl, dass unser Vater bis zum Schluss am Leben hing …

Gott segne ihn. Er war eine Konstante in unserem Leben, die immer da war – auf seine Weise. Er hat eine grosse Lücke hinterlassen, auch wenn sein Abschied ein sehr langer gewesen ist …

So weit, so schmerzlich.

Meine Schwester & ich haben eine schöne Beerdigung organisiert auf dem Wald-Friedhof Rheinfelden – ich glaube, es hätte unserem Vater gefallen. Und ich hoffe, auch mein persönliches Lied für den Anlass hätte ihm Freude gemacht:

„When all the final curtains fall / Illusions tumble down the wall / You leave behind the painful past / And time is on your side at last / You realise the present‘s worth / You feel the naked heart of earth / And see it’s all inside of you / The universe, the love, the clue / And Rilke adds, with poet‘s tongue / The hawk, the storm, the song ...“

„Falling into Presence“:
http://www.besser-fernsehen.ch/songs.html

Herr Pfarrer R. hat schöne Worte gefunden für unseren Vater und viel von Gerechtigkeit (!) gesprochen. Nicht dass wir ihm die Worte in den Mund gelegt hätten – wir wollten weder einen Lebenslauf noch sonstige vorgefertigte Texte übergeben. Wir haben den Pfarrer um seine eigene Würdigung unseres Vaters gebeten. 

Es sind erfreulich viele Menschen gekommen, ihm die letzte Ehre zu erweisen und hinter uns her zu gehen auf seinem letzten Weg hinunter ins offene Grab. Es gibt zwar heute nur noch wenige Erd-Bestattungen – aber das wäre wohl im Sinne unseres Vaters gewesen. Genauso wie der Eichen-Sarg mit dem Abendmahl-Motiv – ich glaube, das hätte ihm gefallen. Und auch die vielen roten Rosen auf den Kränzen, Sträussen & Blumen-Herzen. Er liebte Blumen und insbesondere tiefrote Rosen.

Rudern zwei ein Boot,
der eine kundig der Sterne,
der andere kundig der Winde,
führt der eine durch die Nacht,
führt der andere durch die Stürme,
und am Ende, ganz am Ende
wird das Meer
in der Erinnerung
blau sein.  

(Reiner Kunze)

Nach zwei Jahrzehnten waren unsere Eltern wieder vereint. 
Zumindest in einem Gedicht … 

So weit, so schmerzlich.

Mit dem Tod unseres Vaters hatte sich die Frage nach der Gemeinsamen Beistandschaft nun also von selbst erledigt. Denn mit dem Tod eines „Klienten“ erlischt automatisch jede Form von Amts-Beistandschaft. Beiständin D. weilte gerade im Urlaub – aber das spielte keine grosse Rolle, denn mit der Beerdigung unseres Vaters und dem ganzen Drum & Dran hatte sie genauso wenig zu tun wie zuvor mit seinem Alltag (ein einziges Mal hatte sie unseren Vater aus der Ferne gesehen …).

Nach ihrer Rückkehr schauten wir bei Frau D. vorbei, um ein paar offene Punkte und für uns nicht nachvollziehbare Differenzen zu besprechen. Wir hatten nun sozusagen Transparenz über Sachlage & Konto-Auszüge vor dem Antritt der Amts-Beistandschaft und nach dem Ableben unseres Vaters.

Wir konnten also klare Vorher-Nachher-Vergleiche anstellen. Aber für die Zeit dazwischen klafften riesige Lücken und jede Menge Fragezeichen.

Wir kannten ja die finanziellen Belastungen unseres Vaters besser als irgendjemand sonst (dank sehr viel Eigen-Einsatz konnten wir diese überschaubar halten). Überdies war unser Vater sehr gut kranken- & unfall-versichert. Unsere grobe Plausibilitäts-Prüfung ergab nicht nachvollziehbare grössere Differenzen.

So weit, so schlecht.

Wie Recherchen zeigen, haben Amts-Beistandschaften – insbesondere in der Vergangenheit unter dem alten Gesetz – viele undurchsichtige Gestalten „angezogen“. Beweislage & Handhabe bei allfälligen Schlampereien oder schlimmer haben weitgehend gefehlt. Die allermeisten fehlbaren Amts-Beistände sind ungestraft davongekommen; sehr oft ist nicht einmal etwas bemerkt worden. 

Von der jüngsten Gesetzes-Änderung erhofft man sich nun – neben vielem anderen – eine bessere Kontrolle und eine leichtere Handhabe bei allfälligen Verfehlungen (der Beginn unserer Amts-Beistandschaft fiel noch knapp unter das alte Gesetz).

So weit, so schlecht.

Auf der Frage nach Antworten wandten wir uns an Frau C., Chefin der Amts-Beistandschaft Rheinfelden, mit der wir bereits im Vorjahr kurz Kontakt hatten (sie war mittlerweile zurück aus dem Schwangerschafts-Urlaub, ein Leben war erloschen, ein anderes neu in die Welt gekommen …). 

Wir suchten also nach Antworten. Auch auf die Frage, ob die Stadt Rheinfelden grundsätzlich in irgendeiner Form haftbar gemacht werden kann für die zahlreichen Falsch-Aussagen, Fehlentscheide & Unterlassungen …

Wir können vorwegnehmen: nein.

Frau C. präsentierte uns (erstmals) einen sogenannten „Klienten-Vermögensbericht“. Darauf erschienen u.a. zwei Konten, von denen unser Vater zu keinem Zeitpunkt im Leben auch nur 1 Cent besessen hat. Machte sich aber gut auf dem Papier und schönte die Übersicht. Und ein drittes aufgeführtes Konto gehörte ebenfalls nicht zu seinem Vermögen (ein viertes Falsch-Konto war anscheinend schon vorher eliminiert worden). Aufgrund der fehlenden Kommunikation & Transparenz waren auch die übrigen ersichtlichen Angaben grösstenteils nicht nachvollziehbar für uns.

Frau C. hatte keine wirkliche Erklärung – sie war ja auch nicht direkt in den Fall involviert. Sie zeigte aber Verständnis und riet uns, uns an Herrn L. vom Bezirksgericht zu wenden (ja, richtig, wir kannten ihn bereits auf dem Papier …).

Wir ersuchten also im Juli 2015 beim Familien-Gericht um Akten-Einsicht sowie Nicht-Erteilung der Décharge für den Rechenschafts-Bericht der Amts-Beistandschaft. In einem ersten Schritt für die „Ära Ü.“ bzw. die Zeit der Betreuung durch die alte Bezirks-Beistandschaft. Auch später können natürlich diverse Fehler & Versäumnisse aufgetreten sein – die Berufs-Beistandschaft der Stadt Rheinfelden musste sich ja erst einmal einspielen, Kapazitäten schaffen und Zuständigkeiten festlegen. Da fehlte uns ebenfalls die Übersicht. Unser Gesuch belegten wir natürlich mit entsprechenden Fakten & Zahlen (u.a. unserem einfachen Vorher-Nachher-Vergleich der Konten). 

Und wir wollten Antworten auf die Frage, warum uns in der ganzen Zeit die Gemeinsame Beistandschaft verweigert worden ist, obschon wir uns redlich darum bemüht hatten. In Absprache mit Frau C. baten wir um eine Stellungnahme innerhalb von 30 Tagen.

So weit, so schlecht.

Kurz nach Einreichen unseres Antrags auf dem Familien-Gericht kam ein Antwort-Schreiben von Herrn Gerichts-Präsident L. Ist ein „Klient“ gestorben, scheint sich das Bearbeitungs-Tempo schlagartig zu erhöhen! 

Im Wesentlichen wurde uns mitgeteilt, dass man unseren Antrag bei der Prüfung der Erteilung der Décharge für den Rechenschafts-Bericht der Amts-Beistandschaft mit-berücksichtigen werde. Und dass uns nach einer ersten Sichtung durch das Revisorat offen stünde, auf Vorankündigung hin die Akten einzusehen.

Davon war dann im „Entscheid“ (offizielle Bezeichnung) des Familien-Gerichts keine Rede mehr, der uns im September 2015 erreichte. Neun trockene Seiten ohne relevante neue Information für uns – im Wesentlichen eine Auflistung des „Falls“ aus Sicht des Bezirksgerichts. Man hätte auch einen einzigen Satz schreiben können – ich fasse mal zusammen: 

Wir erteilen sämtlichen involvierten Amts-Stellen die Décharge und händigen allen Beteiligten einen Persil-Schein aus.

(Es gibt zwar noch eine zivilrechtliche Décharge – aber um in dieser Hinsicht tätig zu werden, müsste man direkte Akten-Einsicht & Beweise in der Hand haben.) 

Leider kein Wort über die Gründe der Ablehnung unseres anfänglichen Antrags auf Gemeinsame Beistandschaft und über das Nicht-Beachten unserer nachträglichen Anträge. Kein Wort zu unseren weiteren Fragen. Nur eine langatmige Rechtfertigung in Beamten-Deutsch, dass unter dem Strich – nach ein paar Bereinigungen (und Namens-Verwechslungen) – alles sauber & korrekt abgelaufen sei. Manch ein Paragraph fühlte sich an wie ein Schlag ins Gesicht … 

Anstatt nach dem Ableben der Betroffenen nichtssagende Persil-Scheine zu produzieren (die absolut niemandem mehr helfen ausser den Ämtern selber), könnte man die Zeit viel besser nutzen für die Erledigung von Anträgen zu Lebzeiten. Gerade in unserem Fall wäre das keine grosse Sache gewesen: Die Amts-Beistandschaft muss für das Familien-Gericht die Eignung der Antragsteller überprüfen & bestätigen. Und die diesbezügliche Zusage hatten wir ja längst – von der „alten“ genauso wie von der „neuen“ Amts-Beistandschaft. Es wäre bloss eine Form-Sache gewesen.

So weit, so schlecht.

Menschen, die solche Schreiben verfassen – pardon: von Gerichts-Schreibern wie Herrn S. verfassen lassen – sollten einmal auf der anderen Seite des Tisches Platz nehmen. Und selber die Erfahrung machen, wie es sich anfühlt, mit solchen „Wischen“ abgefertigt zu werden.

Ich griff zum Telefon – aber Herr L. war natürlich nicht zu sprechen, nein, morgen auch nicht und nächste Woche schon gar nicht. Eigentlich überhaupt nicht. Gerichts-Schreiber S. meinte dann telefonisch, das sehe doch gut aus, ein Vermögens-Zuwachs, das sei doch plausibel. Ich meinte, schön wär’s, uns lägen leider ganz andere Zahlen/Fakten vor als in diesem Schreiben … das mache alles keinen Sinn für uns …

Herr S. verwies mich an Herrn Revisor G. für nähere Auskünfte.

So weit, so schlecht.

Mit Herrn Revisor G. konnte ich immerhin am Telefon sprechen, sogar mehr als nur einmal. Und schliesslich durften meine Schwester & ich sogar zu näheren Erläuterungen bei ihm im Bezirksgericht vorbeikommen.

Der Revisor händigte uns vorbereitete Zahlen-Aufstellungen aus, wir schauten sie zusammen an – aber wir konnten das nicht auf einen Nenner bringen mit unseren eigenen Vorher-Nachher-Vergleichen. Herr G. schickte uns später noch weitere Auszüge zu, die meine Schwester & ich zusammen durchgegangen sind – genauso vergeblich. Wir haben uns wirklich Mühe gegeben, aber wir fanden keine (auch nur annähernde) Übereinstimmung. Wir konnten allerdings auch nirgends den Finger drauflegen und sagen: Hier liegt das Problem. Dafür war uns einfach viel zu lange die Transparenz vorenthalten worden. Die „Löcher“ konnten überall sein …

Herr G. meinte, aus seiner Sicht sei alles korrekt – und das mag aus seiner Sicht auch stimmen. Er arbeitet mit dem, was ihm zugespielt wird. In unserem Fall mit den verschiedenen Amts-Beiständen, „Vakuums“ & Versäumnissen hatte sowieso schon lange niemand mehr wirklich den Überblick. 

Auf der im Internet abrufbaren Mitarbeiter-Seite des Bezirksgerichts Rheinfelden steht einer Vielzahl von Mitarbeiterinnen & Mitarbeitern übrigens gerade mal ein Revisor gegenüber (Stand Mai 2016).

Und bei „Gerichts-Präsident L.“ liest man ein bisschen verdutzt „Fürsprecher“. Für das Volk, für die Mitmenschen? Das „Für“ muss etwas anderes bedeuten … 

So weit, so schlecht.

Ende April 2016 erreichte uns eine Art „Schluss-Bericht“ des Bezirksgerichts (mit Einzahlungs-Schein), wo im Wesentlichen die vorangegangenen Persil-Scheine für alle Ämter bestätigt wurden. Und wo darüber hinaus festgehalten war, dass wir die gewünschte Akten-Einsicht erhalten hätten. Indirekt stimmt das – über die Auszüge von Herrn Revisor G. Die gewünschte direkte Akten-Einsicht haben wir zu keinem Zeitpunkt erhalten.

Wie heisst es so schön: 

Der Vorhang zu – und alle Fragen offen.

In der gleichen Woche wurde uns überdies eine Nachsteuer-Rechnung für das Jahr 2013 (!) in fast fünfstelliger Höhe zugeschickt. 

Das ist nur ein kleines Beispiel dafür, wie ungemein sinnlos der auch im Schluss-Bericht wieder herausgestrichene angebliche „Vermögens-Zuwachs“ in der Amts-Beistandschafts-Periode ist. Erstens weichen die Zahlen aus unserer Sicht – wie erwähnt – sehr deutlich von unserem Vorher-Nachher-Vergleich ab. Daneben gibt es aber noch ein weiteres offensichtliches Problem in diesem „Apfel-Birnen-Vergleich“: Die Zahlen sind in keiner Weise perioden-bereinigt, können also auch nicht wirklich verglichen werden.

Die Amts-Beistandschafts-Periode endet automatisch mit dem Todes-Tag des „Klienten“. Wenn ein Mensch stirbt, sind natürlich nicht per sofort alle Rechnungen beglichen. Ganz im Gegenteil. Da flattern noch während Monaten – oder in unserem Fall sogar Jahren – Rechnungen aller Art ins Haus. Ich spreche hier selbstverständlich nicht von ausserordentlichen Posten wie Beerdigungs-Kosten, Grabstein etc. Sondern „nur“ von normalen Alltags-Kosten, die noch zu Lebzeiten angefallen sind.

Ein paar konkrete Beispiele: 

- Unser Vater starb am 27. März – zwei Tage vorher sind die Renten für den April überwiesen worden. Die mussten zurückgezahlt werden.

- Dann natürlich Monats-Rechnung & Schluss-Abrechnung des Pflegeheims. Darüber hinaus sind wir heute noch mit ausstehenden Krankenkassen-Forderungen konfrontiert, obwohl wir einiges bereinigt haben (ohne Transparenz).

- Nach dem Tod unseres Vaters wollte man auf dem Amt verständlicherweise ein bisschen „Kosmetik“ betreiben und hat für eine unserer Privat-Pflegerinnen die Sozial-Versicherungs-Beiträge 2013 – 2015 nachgereicht (auf unsere Rechnung). Zuvor war man ja in dieser Hinsicht komplett untätig geblieben. Somit liessen sich die privaten Pflege-Kosten natürlich auch nicht steuerlich absetzen.

- Und wenn wir gerade bei den Steuern sind: Wie schon erwähnt, ist uns unlängst eine fette Nachsteuer-Rechnung für 2013 (!) ins Haus geflattert. Und für 2014 wird gemäss Steuer-Amt noch eine ähnliche Nachsteuer-Rechnung folgen.  

Und so weiter und so fort. Solche Beispiele zeigen auf, wie unsinnig manche Zahlen sind, mit denen Ämter so um sich werfen (selbst wenn sie korrekt wären …). 

Aber eben: Macht sich halt gut auf einem Persil-Schein …

So weit, so schlecht.

Alters- & Pflegeheime sind „Highschools mit Rollstühlen“ – sagt man in den USA so schön. Was für ein trefflicher Vergleich! Da wird ganz ähnlich gestritten, gelitten & gemobbt wie schon damals zu Schul-Zeiten – sofern man noch einigermassen dazu in der Lage ist … 

Das war & ist auch in der „Lindenstrasse“ nicht anders. Aber die Bewohnerinnen & Bewohner sind einem natürlich trotzdem ans Herz gewachsen – mit ihren vielen Geschichten aus einem Leben, das ihnen langsam entgleitet … Wo man oft nicht mehr richtig versteht, was sie überhaupt sagen wollen … Und wo es schon sehr viel ist, einfach bloss in Ruhe zuzuhören. 

Wer kann schon sagen, wo auf dieser Welt ver-rückt (verschoben) anfängt und wo es aufhört? Manchmal scheint einem, man sei vielerorts von Wahnsinn umzingelt …

In einer amerikanischen TV-Serie sagt einer zum anderen: „Besondere Kennzeichen: Er ist verwirrt und kann nicht mehr klar denken.“ Und der andere antwortet: „Diese Beschreibung trifft auf ungefähr die Hälfte der Stadt-Bevölkerung zu …“

Rheinfelden kann überall sein.

Meine Aufzeichnungen hier sind natürlich nur eine (sehr lange!) Kurz-Fassung unseres schmerzlichen und im Rückblick völlig überflüssigen Weges in die Sackgasse. 

Wir kämpfen nicht weiter dagegen an. Wir möchten die ganze Misere, diese mehrjährige Odyssee, diesen kafkaesken Albtraum mittlerweile einfach nur noch hinter uns lassen. Wir möchten abschliessen mit diesem traurigen Stück Familien-Geschichte – und wir hoffen, unser Vater dreht sich nicht allzu heftig im Grabe um (wir erinnern uns: es war eine Erd-Bestattung …).

Wir haben bezahlt, bezahlt und nochmals bezahlt. 

In jeder denkbaren Hinsicht …

So kann er aussehen: Der ganz normale Alltags-Wahnsinn.

Wie eingangs erwähnt, habe ich das in erster Linie zur eigenen Verarbeitung aufgeschrieben. Aber vielleicht kann auch die Stadt Rheinfelden etwas daraus lernen. Und vielleicht können auch andere Menschen etwas daraus mitnehmen.

Wenn Sie möglicherweise gerade selber vor der Frage stehen, ob Sie die Beistandschaft für einen Angehörigen übernehmen sollen – und wenn Sie vielleicht ein freundlicher Mitarbeiter irgendeiner „Bananen-Plantage“ über die vielen Vorzüge einer Amts-Beistandschaft informiert: Dann setzen Sie sich erst einmal gemütlich hin, gönnen Sie sich eine lange Kaffee-Pause und denken sie nochmals in Ruhe über alles nach. Lassen Sie sich Zeit. Schlafen Sie ein paar Nächte darüber … oder ein paar Wochen … 

Und sollte Ihnen eine freundliche Mitarbeiterin eine „emotionale Hängematte“ in Aussicht stellen – dann rennen Sie. Rennen Sie weg, so schnell Sie können …

… und drehen Sie sich erst wieder um, wenn Sie die Bananen-Plantage auf sichere Distanz hinter sich wissen.